Drohen den deutschen Lebensversicherern millionenfache Rückabwicklungen von Verträgen?

Zum Jahresauftakt möchten wir uns mit der Veröffentlichung eines Finanzmathematikers befassen, die leider bestätigt, dass Millionen von Lebensversicherungsverträgen bei weitem nicht so gut abschneiden, wie wir Verbraucher es uns nach Abschluss erhofft hatten.

Droht den deutschen Lebensversicherern eine millionenfache Rückabwicklung von Verträgen?

Der Grund: Deutsche Lebensversicherer könnten gegen EU-Vorgaben zum Preis-Leistungs-Verhältnis von Altersvorsorgeverträgen verstoßen. Damit wären ihre Produkte möglicherweise nicht mit den Anforderungen der europäischen Versicherungsaufsicht (EIOPA) hinsichtlich des Kundennutzens vereinbar.

Hintergrund: Qualitätsstandards und „Value for money“

Im Fokus stehen die Qualitätsstandards, die unter dem Begriff „Product Oversight and Governance“ (POG) zusammengefasst sind. Diese Standards verlangen von Versicherern und Finanzinstituten, Prozesse und Strukturen zu etablieren, die eine kundenorientierte Entwicklung, Überwachung und Verwaltung von Finanzprodukten sicherstellen. Bereits bei der Einführung neuer Produkte müssen Versicherer den Kundennutzen berücksichtigen. Im Englischen wird dies als „Value for money“ (Kosten-Nutzen-Verhältnis) bezeichnet.

Kritiker werfen deutschen Lebensversicherern vor, dass viele ihrer Produkte keinen ausreichenden Kundennutzen bieten. Eine Studie zu Riester- und Basis-Renten hat dies untermauert. Der Kundennutzen wird insbesondere an der langfristigen Rendite gemessen: Diese muss nach Abzug der Kosten über den realistischen Inflationserwartungen liegen.

Hat die deutsche Finanzaufsicht europäische Regeln ignoriert?

Die deutsche Finanzaufsicht (BaFin) hat die EU-Vorgaben offenbar lange Zeit nicht vollständig umgesetzt. Obwohl die „Value for money“-Regelung seit etwa fünf Jahren für Versicherer in der EU gilt, wurde sie in Deutschland erst im letzten Jahr durch ein BaFin-Merkblatt teilweise verankert.

Eine präzise Vorgabe, wie hoch die Rendite ausfallen muss, gibt es nicht. Die BaFin nennt jedoch das mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von etwa zwei Prozent pro Jahr als Orientierungswert. Laut einer Untersuchung erreichen jedoch die meisten Produkte der deutschen Lebensversicherer diesen Wert nicht.

Der Experte fasst zusammen: „Für aktuelle Produkte zeigt sich: Fast nie liegt ein hinreichender Kundennutzen vor. Nach der europäischen Regelung darf das jedoch nicht der Fall sein.“ Produkte ohne ausreichenden Kundennutzen hätten folglich nicht eingeführt werden dürfen. In der delegierten EU-Verordnung heißt es ausdrücklich, dass Versicherungsprodukte nicht auf den Markt gebracht werden dürfen, wenn sie nicht den Bedürfnissen, Zielen und Merkmalen des Zielmarktes entsprechen.

Droht ein neuer „Widerrufsjoker“?

Sollte sich herausstellen, dass die deutschen Lebensversicherer systematisch gegen EU-Vorgaben verstoßen haben, könnte eine Rückabwicklung der Verträge drohen – ähnlich wie bei Lebensversicherungen nach dem sogenannten Policenmodell.

Zur Erinnerung: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) hatten entschieden, dass Lebensversicherungen, die zwischen 1994 und 2007 nach dem Policenmodell abgeschlossen wurden, rückabgewickelt werden können – sofern der Kunde oder die Kundin nachweist, fehlerhaft belehrt worden zu sein.

Der Vorteil der Rückabwicklung gegenüber einer Kündigung:

Die Verbraucher erhalten deutlich mehr Geld. Denn bei einer Rückabwicklung bekommen die Verbraucher ihre eingezahlten Beiträge verzinst wieder zurück, was bei einer vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung nicht der Fall ist. Auch Kosten für Vertrieb und Verwaltung dürfen die Versicherer in diesem Fall nicht abziehen.